Und täglich grüßt das Murmeltier

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Blick auf Wien von Schloss Wilhelminenberg
Blick auf Wien von Schloss Wilhelminenberg, Dezember 2020. ©Astrid Eishofer

 

Zwei Tage vor Silvester 2020. Wien fühlt sich an, als hätte jemand die Pausetaste gedrückt. Auf der großen Wiese vor dem Schloss Wilhelminenberg scheint alles wie immer, obwohl das Leben derzeit auf Sparflamme läuft. Seit dem ersten Lockdown im Frühjahr stehe ich oft hier oben und schaue auf die Stadt hinunter. Früher bin ich einfach nur vorbei gestapft, um möglichst schnell mein Fitnessprogramm runter zu spulen. Mittlerweile halte ich bewusst inne.

Von hier aus sieht Wien jedes Mal ein bisschen anders aus: Einmal hell, mal düster, sonnig oder wolkig, mal sieht man weiter, mal nicht und zwischendurch wird sogar auf Play gedrückt und es bewegt sich etwas. Genauso waren auch die Stimmungsschwankungen der Stadt. Gerade ist wieder Funkstille unten. Lockdown Nummer 3.

 

Zeit für Drama oder Zuversicht?

Auf jeden Fall Zeit, um Eindrücke Revue passieren zu lassen. Zeit, um bewusst die schönen Dinge hervorzukramen, die passiert sind und die wir sonst unreflektiert abhaken, weil in den letzten Jahren alles selbstverständlich geworden ist und man vielleicht gerade andere Sorgen hat. An die schwierigen Dinge werden wir ohnehin bei jeder Gelegenheit erinnert.

Deshalb gehe ich seit dem Frühjahr regelmäßig auf den Wilhelminenberg. Mittlerweile kenne ich viele Wege, die zum Schloss führen und ein bestimmter erinnert mich an einen Film aus dem Jahr 1993. Er heißt: 

 

Und täglich grüßt das Murmeltier.

Darin erlebt ein Mann denselben Tag immer wieder aufs Neue. Zuerst findet er alles furchtbar. Dann lernt er die Situation zu akzeptieren und nutzt diesen Tag jedes Mal besser, bis er endlich einen Weg aus der Zeitschleife findet. Das alles kann man als lustigen Hollywood-Klamauk abtun. Es gibt aber durchaus Parallelen zu heute.

Wenn ich diesen einen Weg zum Schloss gehe, begegnen mir oft dieselben Menschen: Bei der Seniorenresidenz winke ich dem älteren Herrn zu, der im Park spazieren geht. In der Kleingartensiedlung kommt mir die Frau mit dem weißen Pudel entgegen und im Wald überholt mich ein Mann mit roter Mütze. Beim ersten Lockdown war das alles fremd, irgendwie unheimlich und man hat sowieso jeden skeptisch betrachtet.

 

Da wusste ich noch nicht, dass wir uns noch
öfter über den Weg laufen.

Ich denke nicht, dass mich diese Leute wieder erkennen, obwohl wir uns manchmal grüßen.

Mir selbst ist diese Wiederholung erst aufgefallen, seit ich mich da oben auf die Wiese stelle und den malerischen Weg im Gedanken bewusst noch einmal abspule. Plötzlich sind all diese Menschen willkommene Konstanten in einer chaotischen Zeit, in der wir nicht so genau wissen, was morgen sein wird. Wie schön es auf einmal ist, auf die Stadt zu schauen, rundherum die Vögel  zwitschern zu hören, die Hunde spielen zu sehen, fremde Menschen lachen zu hören und dabei das Gefühl zu haben, all das zu kennen. 

Manchmal ist die Großstadt eben auch nur ein Dorf. Eine Erkenntnis, die auch bleiben wird, wenn die Zeitschleife durchbrochen ist. Genauso wie die Tatsache, dass man schöne Momente genießen darf, obwohl rundherum gerade Chaos ist.

 

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